Zitronenhügel

Steinhof.jpgLiebe Frau Andrea,
neulich hörte ich den Begriff Zitronenhügel und dachte spontan an den Rosenhügel. Doch aus dem Zusammenhang stellte sich heraus, dass es sich um ein Synonym für psychiatrische Anstalten handelt. Wäre mir zwar neu, dass dort klimatisch bessere Bedingungen zum Anbau von Südfrüchten herrschen, vertraue aber auf Ihr Wissen und freue mich auf Aufklärung. Mit freundlichen Grüßen,
Holger Jagersberger, Linz, per Elektropost.

Lieber Holger,
ganz richtig haben sie erkannt, dass wir im Ausdruck Zitronenhügel ein Hüllwort für den modernen Terminus Nervenklinik sehen dürfen. Mit den sonnenliebenden Zitrusfrüchten hat der Begriff nichts zu tun. Biographische Episoden in Krankenhäusern, die sich mit der Behandlung psychiatrischer Probleme beschäftigen sind auch heute noch stark tabuisiert, die Namen der Anstalten gelten daher als Codes. Man spricht von Steinhof (Wien), vom Wagner-Jauregg (Linz), vom Feldhof oder vom Sigmund-Freud (Graz), von Mauer-Öhling oder von Gugging (Niederösterreich). Frühere Zeiten waren roher und kannten explizite Ausdrücke wie Lunatisches Asyl, Tollhaus, Klapsmühle, Irrenhaus und Gummihütte. Das weltweit erste Spezialgebäude zur Unterbringung von Geisteskranken wurde 1784 in Wien erbaut. Wegen seiner runden Form bekam der fünfstöckige “Narrenturm“ im Volksmund bald den Spitznamen Guglhupf. Einen ähnlichen etymologischen Ursprung hat auch der von Ihnen kolportierte Ausdruck Zitronenhügel. Er hiess am Beginn seiner Reisetätigkeit durch die Nervenkliniken Österreichs Lemoni- oder Limoniberg und bezeichnet die goldene Kuppel der Otto-Wagner-Kirche am Steinhof, dem heutigen Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe – zum Zeitpunkt seiner Eröffnung im Jahre 1907 das größte und modernste psychiatrische Krankenhaus Europas. Baumgartner Höhe, Steinhof, Limoniberg und Zitronenhügel bezeichnen also alle die selbe Lokalität. Wenn Ihnen dieser Namensfundus noch nicht genügen sollte, dürfen sie getrost zur gaunersprachlichen Version greifen. Häfenbrüder kennen für die Klinik Steinhof auch den Ausdruck Zwiebelparlament.

www.comandantina.com dusl@falter.at

2 Gedanken zu „Zitronenhügel“

  1. Frau Andrea!
    Sehr treffend, die letzte Auskunftseite. In Tirol ist es üblich, auch Gefängnisse nicht beim Namen zu nennen. Muss einer im Landesgericht einsitzen, sagt er, er geht auf die Schmerlinger-Alm, weil sich dieses Gefängnis in der Schmerlinggasse (benannt nach Anton v. Schmerling) befindet. Mit dem größten Gefängnis im Land Tirol war bis vor ein paar Jahrzehnten eine Ziegelei verbunden; also sagte einer, der dort länger verweilen musste, er gehe Ziegelschupfen. Die männliche Form ist hier korrekt – weil neunmal so viele Männer einsitzen als Frauen …
    Freundlich grüßt
    Winfried Hofinger, Fan Ihrer Schreibe.

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