In drei Minuten bist du tot

Mobilitätskolumne von Andrea Maria Dusl. Für Falter 51/2009.

Der Regen prasselt in kleinen kalten Tropfen auf die Scheibe. Der schwarze Novemberhimmel hat über dem Wienerwald seine Schleusen geöffnet. Die Westautobahn ist nass und sie ist ein Luder. Zu eng, zu monoton, zu viel Verkehr.

Aus dem Radio meiner jadegrünen Limousine schwurbelt Radio Stephansdom. Klong macht es plötzlich, dann klingkling und noch einmal klong. Und dann, drei Takte Brahms später, zieht der Riese Schicksal den Wagen nach links. Wiebitte? Wieso? Ich steuere dagegen, die Fahrbahn unter mir beginnt zu rumpeln, zu rattern, wird zur Schotterpiste. Der Wagen schlingert wie ein Boot. Ein Engel in mir, eine coole Sau von Andrea steuert die rumpelnde Yacht nach rechts, auf den Pannenstreifen, mit zwei Rädern ins Gras, bringt zwei Tonnen plus zum Stehen.

Mein Herz pocht. Radio Stephansdom schmettert. Aus dem Rückspiegel stechen Fernlichter. Die Scheibenwischer schieben rote Lichter zusammen, die links von mir in die nasse Nacht rasen. Wäre jetzt jemand mit mir im Wagen würde das Wort fallen. Reifenplatzer. Und das Wort Schutzengel. Aber es ist niemand da. Niemand greift zum Handy und tippt. Wo ist meine Tasche? Die coole Sau in mir schaltet die Warnblinkanlage ein. Die Idiotin in mir stochert sich zitternd durch Visitenkarten, BIPA-Vorteilscards, Lufthansa-not-yery-important-people-Karten, Plastikgeld und Mitgliedsausweise. Wo ist die verdammte ÖAMTC-Karte, schreie ich. In drei Minuten bist Du tot, schreie ich zurück. Ein Volltrottel wird zu spät auf die Bremse steigen, deinen schönen grünen Jaguar am linken Kofferraumspitzl touchieren und das reverse Peitschenknallsyndrom wird dir den Kopf vom Hals schmeissen. 120 steht auf der gelben Karte. Wo ist mein Handy? Wieso ist es so verdammt laut? Bruckner mal Freitagabend. Wir kommen, sagt die Stimme am Headset, irgendwo in einem warmen, cosy beleuchteten Büro, keine Sorge, keine Angst. Wo ist die Warnweste? Warnweste an, rüber zur Beifahrertür. Beifahrertür auf, der Regen schneidet mir ins Genick. Wo ist das Pannendreieck? Kofferraum schreit die Panikerin. Cool, sagt die Stoikerin, geht nicht auf ohne Schlüssel. Was noch? Stablampe. Brennt? Brennt. Raus in den Regen. In zwei Minuten bist Du tot, schreie ich.

Liebe Pannendreieckhersteller! Bitte schenken Sie der Welt Pannendreiecke, die man ohne Montageanleitung zuammenbauen kann. Mit einer Hand. Auch im Dunklen. Gleich bist Du tot, schreie ich in die Nacht, der Idiot wird jetzt kommen, mit seinem Porsche, seinem tiefergelegten Golf und Dich, mitsamt deiner Warnweste, jetzt und endgültig in den Scheissjaguar schieben. Und die Unfall-Statistik auf der A1 wird sich um genau eins erhöhen.

Im nassen Gras schreite ich hundert Meter Richtung Wien. Stelle das Pannendreieck auf. Fahl leuchten die Warnblinker meines Wagens. Eine halbe Stunde wird die Batterie halten. Zurückgehen, Zündung einschalten? Und wenn der Idiot just dann vorbeikommt? Rumms wird es machen. Schrrtfffffffplonk macht es. Der Sattelschlepper hat mein Pannendreieck umgeblasen. Ich baue das Ding wieder zusammen.

Die Hölle, werde ich nach eineinhalb Stunden resümieren, ist kalt und nass. Kurz hinter Neulengbach liegt sie. Es wird viel geschrien in ihr, gezittert und geflucht, und hin und wieder muss gearbeitet werden. Es gilt, ein billiges Plastikdreieck zusammenzubauen und in Fahrtrichtung neben einem fahlen Streifen aufzustellen. Immer wieder. An einem fahlen Streifen, irgendwo in der Nacht. Der Grenze zwischen Leben und Tod.

Ach ja. Die Sache ist dann doch noch gut ausgegangen. Der Pannenengel war ein Held, hexte einen heilen Reifen an meinen Wagen, lud die tote Batterie und wärmte mein Herz mit gottgleicher Coolness. 120 ist seine Nummer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert