Das große Rätsel Bogatzen

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 36/2017 zum 6.9.2017.

Liebe Frau Andrea,

bei Familientreffen erzählen wir uns immer wieder Kindheitsepisoden. Dabei fallen auch Begriffe, deren Herkunft uns nicht bekannt ist. So pflegte unsere Großmutter zu sagen: „Was bogatzt denn so, ziag da was an!“ Oder: „Du bogatzt jo oisa ganza, du gheast ins Bett, i bring da an Tee.“ Es geht um das vor Kälte zittern oder um Schüttelfrost. Woher aber kommt „bogatzen“? Bitte helfen Sie uns auf die Sprünge.

Mit freundlichen Grüßen aus dem Waldviertel,
Regina Tschannerl, per Email

Liebe Regina,

wie Sie richtig bemerken, bezeichnet „bogatssn, wogatssn“ – auch im alten Wienerisch – zittern, schwanken, (sich) schütteln. Grundsätzlich wäre es nicht falsch, bei seltsam klingenden Wörtern an einen Transfer aus den Nachbarsprachen Österreichs zu denken. Tatsächlich gibt es in allen slawischen Sprachen verblüffend ähnliche Ausdrücke für „sich fürchten“: So etwa „bojat’sja“ (russisch), „boja se“ (bulgarisch), „bojati se“ (slowenisch), „báti se“ (tschechisch) und „bać się“ (polnisch).

Die konsultierte Autorität auf diesem Feld, Slawistikprofessor Newerkla sieht allerdings das Problem einer Übertragung des slawischen Ausdrucks ins Bairische. Die Bedenken sind semantischer wie lautlicher Natur. Im Bairischen (zu dem das Waldviertlerische und das Wienerische gehören) bezeichnet der Ausdruck den körperlichen Aspekt des Zittern, Schwankens, im Slawischen hingegen steht die Furcht und Angst im Vordergrund, für das eigentlichen Zittern gibt es andere Ausdrücke. Zudem lässt sich keine etymologisch auf „bojati sja“ zurückgehende slawische Form finden, die bei der Übernahme das bairische „bagetzen, bägetzen“ ergeben hätte können. Die Ähnlichkeit ist rein zufällig. Tatsächlich lässt sich unser bagetzen (bågaz’n) auf eine alt- und mittelhochdeutsche Ausgangsform „wage, wagôm“ zurückführen, die das Schwanken, Zittern, Beben bezeichnet und direkt verwandt ist mit unserem Wort „wanken“.

Wenn das Bogatzen das jodelndes Singen bezeichnet, kommt es (auch in unseren Bergen) vom osmanischen „boğaz“ für „Hals, Schlund“ und bezeichnet eine alte nomadische Singtechnik in der Türkei und auf dem Balkan. Der Watzmann ruft! Hollaröhdulliöh!

comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

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