Saperlot nochmal!

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 25/2025 vom 18. Juni 2025

Liebe Frau Andrea,
als Großmutter eines zweieinhalb Jahre alten Enkelkindes freue ich mich immer über neue Wörter, welche sie entdeckt und wie Bausteine in ihre Satztürme einbaut. Letztens kam sie von der Kinderkrippe und spielte die Pädagogin nach, wobei sie immer wieder „Saperlot“ verwendete. Dieses Wort hatte ich zuletzt selbst als Kind von meiner Oma des öftern gehört und es hatte mich schon damals fasziniert. Bitte um Aufklärung, woher der Begriff kommt und wie es anscheinend zu dessen Wiederentdeckung kam.

Karin Eichberger, von meinem iPad gesendet

Liebe Karin,

wie vergessene oder ins Altertümliche gestellte Wörter und Begriffe wieder in den Sprachgebrauch treten, kann nicht immer allgemein beantwortet werden. Sie müssten die Pädagogin ihrer Enkelin befragen, auf welchen Wegen „Saperlot“ (manchmal auch „Sapperlott“ geschrieben) zu ihr, und damit zu Ihrem Enkelkind kam.

Leichter fällt es, Licht in die Wortgeschichte von Saperlot zu bringen, steht es doch in einer Reihe ähnlicher Fluchwörter und Erstaunensäußerungen. Die Wienerischen Ausrufe Saperlot!, Sapradibiks!, Saprament! und Saprawoit! sind Fluchwörter, die durch Entstellung und Wortmischung aus dem schriftdeutschen „Sakrament“ hervorgegangen sind und in etwas deutlicher Form als Sakralót!, Sakerlot!, Saperment! zirkulier(t)en. Ähnlich wird „sakrisch“ (besonders, sehr) verwendet, wenn es nach Sturz und Verletzung „sakrisch weh tut“, oder jemand, heimlich oder unheimlich, und sehr österreichisch, „a sakrische Freid“ an etwas hat.

Dabei ist die Interjektion „Sakerlot“ garnicht bei uns entstanden. Sie wurde im 17. Jahrhundert aus französisch „sacrelotte“, einer euphemistischen Bildung nach „sacredieu“ (entstellt auch „sacrebleu“), aus „sacré nom (de Dieu)“, der geheiligte Name (Gottes) gebildet. Unschwer ist in „sacré“ das lateinische „sacer“ erkennbar, das heilig bedeutet, einem Gott geweiht, und sprachlich verwandt ist mit „sanctum“. Als „Sankt“ ist es der Titel der Heiligen der katholischen Welt und so in zahlreichen, nach dem jeweiligen Kirchenpatron benannten Orten verewigt.


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Kunst kommt

Durchsage. Liebe Kunsteinpfleger und Kunsteinpflegerinnen in all euren Kunsteinrichtungen und Museen, Feuilletons und Wochenendbeilagen. Das sitzt ihr und verwaltet Kunst, und das ist gut und mächtig und all das, was euch daran Spass macht. Und dann denkt ihr, in euren Kunsteinpflegebüros und Kuratoriensälen, Kunst muss gefallen und vor allem: Kunst muss euch gefallen. Oh nein, das muss sie nicht. Sie muss nur kommen. Zu euch, Kunsteinpfleger und Kunsteinpflegerinnen, kommen von den Künstlerinnen und Künstlerinnen. Die geben euch die Kunst und sagen, stellt das aus, rückt das ein, bringt das. Es muss euch garnicht gefallen. Es muss nur zu euch kommen. Und es kommt. Aber, da könnte ja jeder kommen, sagt ihr dann, voller Beurteilungsangst. Stimmt. Es sollte auch jeder kommen. Aber ich sage euch mit ernster Stimme: Habt keine Angst, Kunsteinpfleger und Kunsteinpflegerinnen, es kommen nicht alle. Denn alle, die kommen, sind die Künstlerinnen und Künstler. Mit ihrer Kunst. Wenn ihr die nicht bringt, nicht ausstellt, nicht einrückt, bringt das nur euch etwas, dann stellt ihr nur euch aus. Und ihr seid eines nicht: Künstlerinnen und Künstler. Seid also demütig und dienstbar und offen.

Wann es elf zählt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 24/2025 vom 11. Juni 2025

Liebe Frau Andrea,
es ist immer wieder eine Freude, Ihren Offenbarungen zur Wiener Etymologie zu folgen! Nun ergab es sich, dass in einem Gespräch mit Menschen jüngeren Alters, aber auch durchaus in ähnlichen, ostösterreichisch geprägten Alterskohorten der Ausdruck „das zählt elf“ vulgo „des zöht öfe“ völlig unbekannt scheint. Sollte ich nicht bereits eine Erörterung dazu verpasst haben, wäre ich über eine Deutung der Herkunft dieser „berechtigungsraubenden“ Redewendung dankbar. Wirklich erklären konnte ich sie den Unwissenden nämlich nicht.
Vielen Dank,
Michaela Schwaiger, per Email

Liebe Michaela,

die Redewendung ist beste Wiener Gaunersprache, sie kursiert(e) ausschließlich in der Form „des dsöhd öfe“ – als hochdeutsche Phrase ist sie nahezu unbekannt. „Des dsöhd öfe“ bedeutet, etwas zähle nicht, sei egal, belanglos. Die Wendung scheint auf die verschärfte Variante eines alten Glücksspiels zurückzugehen, bei der es galt, mit drei Würfeln mehr als elf Punkte zu erzielen. Besagtes Würfelspiel, „Paschen“ genannt, leitet sich vom französischen „passe dix“ ab (zehn überschreiten). Als Spielvariante „Elf hoch mit drei Würfeln“, bei der die Einsätze verdoppelt werden konnten, stand es ab 1904 auf der Liste der verbotenen Glücksspiele des k.u.k. Justizministeriums. Da die Wahrscheinlichkeit, mit drei Würfeln zwölf oder mehr Augen zu erreichen, signifikant unter 50 Prozent liegt, verstärkt sich der Verdacht, daß „mehr als zehn“ eingefleischten Wienern mit ludischer Neigung nicht ausreichend spannend erschien.

Ob die berühmte „Elferfrage“ Rudolf Horneggs aus dem ORF-Wissens-Quiz „Einundzwanzig“ verstärkenden Einfluss auf die Redewendung genommen hat, muss noch näher erforscht werden. Die Elferfrage jedenfalls galt als schwierigste und damit fast unbeantwortbare Frage.

„Up to eleven“, die Markierung „elf“ als jenseitige Lautstärkeeinstellung erfuhr filmgeschichtliche Prominenz in einer Szene des Streifens „This Is Spinal Tap“, in der der fiktive Gitarrist Nigel Tufnel damit angibt, die Regler seines Marshall-Gitarren-Verstärkers ließen sich nicht bis zehn, sondern getunter Weise bis elf hochdrehen.


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Der österreichische Handschlag

Die alten Baiern zogen einander am Ohr, Kaiser, König, Edelmann siegelten, Ämter stempelten, die Welt des Kapitals kennt die Unterschrift. Jedes Schriftl ist ein Giftl, antwortet man in Österreich, denn für Akte des Vertrauens, für Abkommen und Vereinbarungen aller Art gibt es den Handschlag. Der Handschlag ist kein Griassdi und kein Hallo – für Begrüssungen tippt man sich an den Hutrand, hebt das Krügel, reißt einen Seawas runter. Der Handschlag ist tief empfundene Landeskultur, er gilt jenseits aller Vorschriften und Gesetze als rechtsverbindlich und echt, als willkürliche Gegenwartsgeste, die in die Ewigkeit reicht.

Der österreichische Handschlag ist nicht geschüttelt, wie die bürgerlich-amerikanische Guten-Tag-Geste des höflichen Händedrucks, der hiesige Handschlag ist fest wie die Gerichtslinde am Dorfplatz und klar wie der Affirmations-Obstler im Stamperl danach. Im (stets männlichen) Handschlag verdichtet sich die Erinnerung ans Armdrücken am Kirtag, an die helfende Hand nach dem Mopedausrutscher, an die klebrige Schwurhand nach dem nächtlichen Maibaumumsägen.

Obschon die Handschläger mit gleicher Festigkeit zudrücken, wissen sie insgeheim, wer der Stärkere ist. Gleichheit wird nur simuliert, behauptet, sie schwindet spätestens beim Bündnisbruch. Ehrhaftigkeit (nicht Ehre), Verlässlichkeit in Männerbelangen wird daher, gerne auch von Lokalpolitikern, in die Formel von der „Handschlagqualität“ gegossen. Kaum je wurde diese einer Frau zugesprochen. In Sachen Gleichberechtigung gibt es also noch Ritualbedarf.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 6. Juni 2025.

Wo der Ripatsch herkommt

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 23/2025 vom 4. Juni 2025

Liebe Frau Andrea,
ich war kürzlich meine Tante Peppi (bald 96) in Niederösterreich besuchen. Sie erzählte von der Vergangenheit und irgendwann von einem verheirateten Paar. Er sei ja tüchtig, seine Frau aber ein richtiger „Ribatsch“ gewesen. Ich konnte mir unter „Ribatsch“ nichts vorstellen und sie konnte es nicht erklären, was sie fast zur Verzweiflung brachte (vermutlich ob meiner Begriffsstutzigkeit). Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich wäre dankbar und vermutlich Tante Peppi auch.
Mit freundlichen Grüßen,
Karin Gemeiner, Leopoldstadt, per Email

Liebe Karin,

das Knacken des Rätsels um den Ribatsch war etwas schwieriger, weil der Begriff weder im alten noch im neuen Wienerisch zirkuliert(e), und auch in den niederösterreichischen Dialekten weitgehend unbekannt ist. Die Suche im Tschechischen, Slowakischen und Slowenischen bringt keine sinnvollen Ergebnisse, keine spezifischen Ausdrücke jedenfalls, mit denen man eine deviante Ehefrau bezeichnen könnte.

Erhellendes ergibt allerdings der Blick in den k.k. Osten unseres Landes, nach Ungarn. Dort kennt man den „ripacs“ (ausgesprochen Ripatsch, Ribatsch) als Bezeichnung für die marktschreierische, auffällige Person, genauer für den Schmierenschauspieler, Kulissenreißer, den billige Effekte erzielenden Vortragenden. Die umgangssprachliche Popularität des Wortes zeigt sich im Namen der schurkisch ausschweifenden Figur „Ripacs“ im 1883 verfassten Volksstück „A csókon szerzett vőlegény“ (Bräutigam werden mit einem Kuss) des ungarischen Dramatikers und Schauspielers József Szigeti. Als Erstbedeutung des Begriffs nennen die etymologischen Wörterbücher des Magyarischen die Unebenheit, Beule, Vertiefung, den Fleck auf dem Blatt der Pflanze, die Pocken-Narbe. Wann und warum die Bezeichnung für die missgestaltete Oberfläche auf die Schmierenkomödiantik, das übertriebene Schauspiel übersprang, muss noch Gegenstand der Forschung bleiben. Wie und auf welchen Wegen ein ungarischer Ausdruck für schlechte Bühnenkunst in die Hermeneutik niederösterreichischer Ehepaare aus der Großelterngeneration gefunden hat, bleibt weiterhin spannend.


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Wer den Schas erfand

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 22/2025 vom 28. Mai 2025

Liebe Frau Andrea,
viele Medien im Land gehen von der falschen Annahme aus, der legendäre ESC-Sager vom „Schas gewonnen“ stamme von Andi Knoll. Meiner Erinnerung nach stammt der ursprüngliche Ausspruch von Roman Gregory. Vielleicht könnten Sie, verehrte Frau Andrea, dem Mysterium um den tatsächlichen Urheber auf den Grund gehen.
THNX & noch einen vergnüglichen Tag!
Grüße aus Wien Alsergrund,
Gabriela Vida, per Email

Liebe Gabriela,

nach ausgiebigen Recherchen und Telefonaten mit Beteiligten wird das Bild um den Sager vom Schas etwas klarer. Die Sache begann mit der Wiener Heavy-Metal-Band Alkbottle. Die Truppe um Sänger Roman Gregory hatte sich Ende 2010 mit der Nummer „Wir san do net zum Spaß, wir gwinnan eich den Schas“ um die nationale Vorentscheidung beworben. Der ORF verbat den Rockern allerdings die Verwendung des Wortes Schas. Alkbottle traten daher in der finalen nationalen Entscheidungsshow am 25. Februar 2011 mit dem geschönten Refrain „Wir san do net zum Spaß, jetzt gemma richtig Gas“ auf. Gewinnerin des Abends war die Innsbrucker Pop-Sängerin Nadine Beiler. Bei der After-Show-Party nach der Vorausscheidung enstand ein kurzer Clip, in der ein „schon etwas eing’spritzter“ Gregory die glücklich angeschickerte Nadine Beiler im Arm hält und gratulierend seine (und Alkbottles) Rolle kommentiert: Es spannend gemacht, das Publikum belustigt zu haben. „Und jetzt…“ sagt Gregory, worauf Beiler antwortet: „und jetzt gwinn i eich den Schas.“ Dieser mp4-Clip zirkulierte in den Social Media, wurde von den Gagschreibern von „Willkommen Österreich“ aufgegriffen und führte zur Stermann-Grissemann-Parodie „Die Beilers“, in der Christoph Grissemann in Perücke und Kostüm Nadine Beiler mimt und hüpfend den Spruch kiekst: „I bin die Nadine Beiler, i vertritt Öschtareich beim Songcontescht 2011 in Düsseldorf, i gwinn eich jetzt den Schas“. 2024, im Gespräch mit Tom „Conchita“ Neuwirth, bekannte Moderator Knoll, er habe den Spruch, Niederlage um Niederlage beim ESC kommentierend, über die Jahre am Leben erhalten, bis er ihm im Mai 2015, nach dem Song-Contest-Gewinn durch Conchita Wurst spontan entkam und zur Legende werden sollte.


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Eiskarte 2025

Österreich ist ein Land des Verkehrs. Im Verkehr kennt es sich aus. Im Straßenverkehr, im postalischen Verkehr, im Fremdenverkehr. Das Werkzeug zur Vermittlung verkehrlicher Anliegen ist die Karte. Je nach Sparte bedient sie Wünsche und Möglichkeiten der Beteiligten.

Sehen wir uns die Karten an. Die österreichische Straßenkarte (heute die virtuelle im Navi) organisiert das friedliche Hin und Her im Land, das Ankommen und das Wegfahren, den Durchzug, den Transit. Die österreichische Wanderkarte (heute die am Handy) erschließt die Bergwelt, führt zu Hütten und Herbergen, zu Gipfeln, Graten und Gletschern. Die Fahrkarte erlaubt die Reise mit Öffis aller Art, die Eintrittskarte den Zugang zu musealen Österreichischkeiten, erschließt Burg und Schloß, Ausstellung und Erlebniswelt. Mit der Postkarte (heute dem Posting) werden Anwesenheitsbeweise, Kurznachrichten und familiär-bekanntschaftliches Allerlei übermittelt. Die Speisekarte endlich erschließt Kochkunst, Preismoral und Ästhetik des individuellen Verköstigungsbetriebs. Nach französisch-italienischem Vorbild kann sie auch mündlich vorgetragen werden, in Form eines kulinarischen Kurz-Epos. Die kürzeste Form dieser gesprochenen Karte erzählt alles über Weniges, und damit alles über Österreich: „Schnitzel hätt ma, Gulasch, und a Eierspeis“, im Kaffeehausfall „den Spezialtoast.“

Die Zusammenfassung all dieser Karten ist die Eiskarte. Die Fahrkarte in die Hitze-Stillung sommerlicher Akut-Gustos. Die Eintrittskarte ins Feriengefühl, die Wanderkarte in die Welt der transportablen Mikrogletscher.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 10. Mai 2025.

No na ned

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 21/2025 vom 21. Mai 2025

Liebe Frau Andrea,
nach einigen Jahren Leben in Österreich verstehe ich inzwischen, was „na no na ned“ bedeutet – eh klar. Woher die Redewendung eigentlich kommt, konnte mir aber bisher niemand beantworten. Vielleicht Sie?
Beste Grüße,
Paul Simon, per Email

Lieber Paul,

sehen wir uns ein paar Witze an. Zwei Reisende im Abteil. Der Zug fährt ab. Sagt der eine, „mir scheint, wir fahren schon.“ „No na!“, drauf der andere, „die Fassaden wird man an uns vorbeitragen!“ In ihrem 1960 erschienenen Standardwerk „Der Jüdische Witz“ widmet die Schweizer Phänomenologin Salcia Landmann ein Kapitel den so genannten „No na!“-Witzen, die nach vorherrschender Lehre als Ursprung der Wiener Redewendung angesehen werden. Witzeln wir weiter. Blau geht im Winter an der Alten Donau entlang, da sieht er plötzlich seinen Freund Grün in einem Loch im Eis strampeln. „Grün, bist du eingebrochen?“ „No na! Der Winter wird mich beim Baden überrascht haben!“. Jahreszeitenwechsel. Im Stadtpark spielt ein herziges Kind. Ein Herr fragt teilnahmsvoll: „Wie heißt du, Kleiner? „Moritz Pollatschek.“ Der Herr darauf höhnisch: „Aber wenn du sehr brav bist, dann sagt die Mame sicher Mojschele zu dir?“ „No na, Pollatschek wird sie sagen!“

Das wohl aus der jiddischen Interjektion „nu“ entsprungene „no na“ wird bisweilen um ein vorangestelltes „na“ und ein hinten angehängtes „ned“ zur Arabeske „na no na ned“ erweitert. Stets schwingt dabei die leichte Aggression über die Blödheit der Frage mit. In der häufigsten Form, dem „no na ned“ verdichtet sich spöttischer Unterton zur Befindlichkeitsbekundung grantigen Genervtseins. Damit ist „noa na ned“ dem „geht’s no?“ urverwandt. Es kulminierte am 27. Februar 2005 im legendären Ausspruch des Sturm Graz-Kickers Günther Neukirchner nach dem Schlusspfiff im 121. Grazer Derby. Nach der 0:4-Niederlage gegen den amtierenden österreichischen Meister GAK wollte der Reporter vom genervten Neukirchner nach anderen schmerzhaften Erkundigungen wissen, ob dieser nicht Angst gehabt habe vor einer noch höheren Niederlage. Neukirchner beendete das Interview mit dem berühmten Satz:

„Des is die nächste depperte Frog!“


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Song-Contest

Anschließendes zum Song-Contest. Die nationalstaatliche Zuordnung von Vortragskunst wäre grotesk, die alleinige Idee eines Wettkampfes von Kunstdarbietungen gaga. Es geht aber gar nicht um Kunst und Kampf, sondern um schlichte Unterhaltung. Der ESC ist eine Nummernrevue in Form einer gesungenen Modeschau. Ein bunter Reigen Horror.

Der Tagesabschnittsgegner

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 20/2025 vom 14. Mai 2025

Liebe Frau Andrea,
in Ihrer Kolumne im Falter 16/25 erwähnen Sie einen „Tagesabschnittsgegner“. Was darf man sich darunter vorstellen? Als Hobby-Boxerin habe ich da gewisse Assoziationen.
Vielen Dank und liebe Grüße,
Anna Goldinger, Wien Döbling, per Email

Liebe Anna,

in besagter Kolumne ging es um die richtige Schreibweise wienerischer Ausdrücke, konkret um das „Buckelfünferln“. Die dazu Aufgeforderten könnten ihr Begehr alternativ auch der „Jettitant erzählen“, hieß es weiter, die Anwürfe in ein Sackerl sprechen, sich über die Häsuer oder in den Koks hauen, oder einem/einer nur „die Bock aufblosn“, die Schuhe aufblasen. Allfällige Kontrahenten in solchen Abwehrgefechten fanden Erwähnung als „Tagesabschnittsgegner“. Das Wort ist als solches noch nicht lexikalisch verbucht, nur die allmächtige Suchmaschine Google hat es erfasst.

„Tagesabschnittsgegner“ ist ein satirischer Neologismus, den ich für die Kolumne 16 nach der Formel „Lebensabschnittspartner“ in die Welt gesetzt habe. Mit der Verbreitung moderner Formen des Zusammenlebens waren die Begriffe Gemahl und Gemahlin, Ehemann und Ehefrau vielfach durch jene des kühleren „Lebensabschnittspartner“ ersetzt worden. Aus der Affäre, dem Pantscherl, dem Seitensprung und den Teilnehmenden am One-Night-Stand wurde schließlich der „Tagesabschnittspartner“, die „Tagesabschnittspartnerin“.

Im galoppierenden Ansinnen, die Welt sprachlich zu erweitern darf nichts unversucht bleiben, neue Wörter zu erfinden und im Alltag zu befestigen. Ein solcher Fall ist der Versuch, das Wort „Tagesabschnittsgegner“ zu etablieren. Es bezeichnet den zufällig vorbeikommenden, in der Regel unbekannten Konfliktpartner. „Tagesabschnittsgegner“ können sich in der Schlange vor der Supermarktkasse offenbaren, fußgehend am Radweg, oder radfahrend am Gehsteig. Sie begegnen im Schwimmbad, am Kinderspielplatz und im Lift. Sie lauern im Bus, in der Bim, in der U-Bahn und in der Unausweichlichkeit eines ÖBB-Großraumabteils.

Für die Wahl des Tagensabschnittsgegners sorgt allein der Zufall. Sportliche Vorbildung und Boxhandschuhe sind nicht nötig, Sprachkompetenz und Diskurswendigkeit kein Nachteil.


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Weltuntergang

Ein alter Witz, der fälschlicherweise Karl Kraus, Gustav Mahler und in einigen Varianten auch Bismarck, Hegel, Heinrich Heine, Abraham Lincoln und Mark Twain zugeschrieben wird, geht so: „Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Österreich. Dort passiert alles zehn Jahre später.“

In Maßen ist die Republik jüngst von jener Untergangs-Bewältigungs-Philosophie gestreift worden, die in US-Amerika (und verbandelten Gegenden) als Preppertum firmiert. Prepper sind Leute, die sich auf mögliche Katastrophen und Notfälle vorbereiten. Die Bezeichnung leitet sich vom englischen Ausdruck „to be prepared“ ab, was soviel „bedeutet, wie „vorbereitet zu sein“. Auf den Bürgerkrieg, den Atomkrieg, die Apokalyse. Auch die Schweizer haben jahrzehntelang gepreppert – unser westliches Nachbarland gilt als nahezu lückenlos unterbunkert. Österreich ist immerhin weitgehend unterkellert.

Minimal preppern auch Österreichs Ministerien und und andere Behörden, indem sie vor Blackouts (Stromausfällen) und Brownouts (Netzschwächeanfällen) warnen. Man möge sich für diese Fälle Getränkevorräte anlegen, Nassrasierer, Kerzen und ein Kurbelradio vorrätig halten. Dass der Notfall rituell verankert ist, manifestiert sich am Land jeden Samstagmittag in der Sirenenprobe (in Wien findet diese nur am ersten Samstag im Oktober statt.) Sinn der Testung ist es, die Bevölkerung auf die Existenz von Sirenen aufmerksam zu machen. Was im Ernstfall zu tun ist, wissen die wenigsten. Mit einer Ausnahme: Die Prepper. Sie begeben sich im Alarmfall in den gut gefüllten Bunker.

In Österreich haben sie dazu 10 Jahre Zeit.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 10. Mai 2025.

Revolution und Gewitter

Früher dachten wir: Das Gewitter bringt die Kühle. Indes: Es ist umgekehrt, die Kühle bringt das Gewitter. So ist es auch mit der Revolution. Nicht diese bringt das Systemende. Sondern das Systemende die Revolution. Warten wir also auf das amerikanische Gewitter.

Andrea Maria Dusl, 3. Mai 2025

1. Mai

Mein 1. Mai.
Früh aufgestanden.
Italienisch gefrühstückt.
Meine Fahne eingepackt.
Mit 31er, 5er und Genossen Emanuely zur Markthalle gefahren.
Viele 8er-Sektionistas angetroffen.
Mit dem Alsergrund zum Rathaus marschiert.
Mit Andi Babler geplaudert.
Die Reden gehört.
Im Landtmann Verwandte getroffen.
Tiefrotes Beef Tartare gegessen.
Sodazitron (SoZi) getrunken.
Alte Geschichten erzählt und neue gehört.
Nach Hause gewackelt.
In Tiefschlaf gefallen.
Tradition.

Der Kicker und sein Fassadl

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 18/2025 vom 30. April 2025

Liebe Frau Andrea,
in unserer Jugendzeit haben wir davon gesprochen, dass ein Fußballspieler ein Fassadl habe, wenn er gut in Form sei und gut spiele. Welchen Hintergrund hat dieser Begriff?
Ich bitte Sie um Aufklärung und bedanke mich vorab sehr herzlich!
Johannes Uhlig, per E-Mail

Lieber Dottore,

die österreichische Kickersprache ist voller Poesie und überzeugender Metaphern. Spieler werden als Zangler, Brisler (Versteher, von französisch „compris“), Außenpracker, Badkicker, Ballesterer, Blinde, Eiergoalie oder Fliagnfanger bezeichnet, als Federanten, Fiedler, Furchler, Gwandleis (Gewandläuse), Holzgschnitzte, Hydranten, Kammerdiener, Kiah (Kühe), Nagler, Sauser und Stehgeiger, als Techniker, Wadlbeißer, Zamschneider und Zauberer.

Dem gelernten Stahlschlosser, Nationalspieler und späteren Trainer Ernst  Baumeister ist für die Pflege und Hege des Ausdrucks „Fassadl“ zu danken. Er ist fast deckungsgleich mit dem „Bristl“ und bezeichnet die gute Form, das gute Selbstvertrauen. Bristl kommt, leicht zu erkennen, von der stolzgeschwellten Brust vor Spielantritt. Für die Nominierung in die Aufstellung zirkuliert der kickerösterreichische Ausdruck „a leiwal hom“ (ein Leiberl, „eine“ Dress haben). Das Leiwal, Leibal ist nicht zu verwechseln mit dem Lawal (Laberl), das den Fußball selbst bezeichnet, der auch als Frucht, Wuchtl (von Buchtel, tschechisch buchta), Blunzn (Blutwurst), Haud, und Duchant (Tuchent) zirkuliert. Eine interessante Karriere hat Wúle (erstbetont, mit langem u). Das deutsche Wort Beule wurde im Tschechischen zu „boule“ und über Prager Fußballspieler nach Wien zurückgepasst, wo aus „boule“ Wúle wurde. Leicht könnte es mit „wulé“ (letztbetont, mit langem e) verwechselt werden. Eine Wúle wulé genommen kommt vom englische „volley“ und dieses von lateinisch „volare“, fliegen.

Zurück zum Fassadl. Es ist die Verkleinerung der „Fassad“ (Fassade), der Vorderseite, Schauseite eines Gebäudes. Es wurde im 18. Jhdt. aus dem italienischen „facciata“ entlehnt, einer Ableitung von italienisch „faccia“ Vorderseite, Gesichtsseite, das letztlich auf lateinisch „facies“, Aufmachung, Aussehen, Gesicht zurückgeht. Viel Lateinisches also im hiesigen Kickertum.


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Wien

Eine Freundin von mir lebt im Burgenland, in einer angenehm hügeligen Gegend, touristisch noch weitgehend unentdeckt. Dörfer, Wiesen, Felder, Weingärten. Die älteren Dörfler leben nebenerwerbsbäuerlich in weißgetünchten Vierseithöfen, die jungen haben sich bunte Einfamilienhäuser gebaut. Die Nahversorgung stellt das Lagerhaus zur Verfügung, und die lokale Tankstelle. Wirtshäuser gibt es keine mehr. Man trifft sich bei der Blasmusik und in der Buschenschank. Österreichische Provinz. Meine Freundin hat sich als Kräuterpädagogin ausbilden lassen, pendelt aus, heilt und berät.

Wenn wir telefonieren, gilt die erste Frage dem jeweiligen Wetter, dann wird gefragt, ob alle gesund seien und dann wird es politisch. Wie ist die Stimmung bei euch? Im Südburgenland ist sie sozial konservativ, hin und wieder gibt es Unmut. Hagel, Frost, Überschwemmungen. Von Wien hat meine Freundin ein düsteres Bild. In diesem Bild gibt es täglich Schießereien zwischen Mafia-Gangs von Balkan, in den Gassen marodieren Messerstecher und Drogendealer, kurz Wien ist gefährlich wie die Armenviertel von Caracas, über beleumundet wie Kabul, Khartum, Karachi. Ob ich mich noch auf die Straße traue? Jederzeit, antworte ich dann. Das Schlimmste was mir in den letzten Monate passiert sei? Dass die Bim 7 Minuten Verspätung hatte und ich keinen Sitzplatz mehr bekam. Die letzte Polizeisirene hätte ich 2024 gehört. Nur die Post wäre so unzuverlässig wie in einer Bananenrepublik. Das verbitte sie sich, sagte meine Freundin. Ihre Schwester lebe in Guatemala, und da käme die Post zuverlässig an.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 26. April 2025.

Viel Trara ums Töö

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 17/2025 vom 23. April 2025

Liebe Frau Andrea,
jetzt „muss“ ich doch glatt einmal selber ein Wort nachfragen, das mir seit einiger Zeit nicht aus dem Kopf geht und das ich nicht und nicht in irgendeine Art Herleitung bekomme. Woher bitte kommt das Dialektsubstantiv „Töö“, „Döö“ im Sinne von Gestank (zB. „Maah – wos is denn des fia a Döö!“, nach opulenter Knoblauchküche). Kennen Sie den Ausdruck, bzw. haben Sie ihn eventuell sogar schon einmal besprochen?
Vielen Dank schon jetzt und ganz liebe Grüße,
Ingrid Haidvogl, per Email

Liebe Ingrid,

ich selber kenne den Ausdruck in dieser Form nicht, habe aber einen ähnlichen schon gehört. Mit großer Wahrscheinlichkeit kommt „der Döö“ von der „Tö“, „Töö“ der Deutschen, die mit diesem Kürzel die Toilette bezeichnen, und die diesen mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit im Zuge touristscher Präsenz in Österreich hinterlassen haben. Wie aus dem deutschen Kurzwort für Toilette ein österreichisches für den Geruch derselben wurde, müsste man lokalhistorisch klären. Allgemeine Verbreitung für „den Döö“ lässt sich noch nicht feststellen.

Sehen wir uns die Toilette sprachlich genauer an. Sie ist das hochdeutsche Synonym für unsere Bezeichnungen WC (water closet), Abort, Klo (von Klosett) und Häusl (Heisl), die allesamt ebenfalls Hüllworte sind für den Ort des Stoffwechsel-Endvorgangs. Unser Wort Toilette wurde im 19. Jahrhundert aus französisch „(cabinet de) toilette“ entlehnt und bedeutete wörtlich „Tüchlein’“, ein Diminutivum zu französisch „toile“ Tuch. Es war zunächst die Bezeichnung für ein Textil, auf dem man Kosmetika, Seifen und Erfrischungen ausbreitete, dann wurde es metonymisch übertragen auf die Tätigkeiten des Ankleidens, schließlich verhüllend für Abort. Ähnliche Wortkulissen haben die US-Amerikaner entwickelt, die das „Stille Örtchen“ bathroom, lavatory, washroom, restroom, men’s room, ladies‘ room und powder room nennen.

Auch in Wien hat sich Französisches gehalten. So ist der „Rettich“ eine derbe Verballhornung von Rediaré, Rediarád (verhüllend für Klosett), diese kommen von der französischen „retirade“, dem (ursprünglich militärischen) Rückzug.

Habt acht!


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Übers Bucklfünferln

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 16/2025 vom 16. April 2025

Liebe Frau Andrea,
um angemessen zu schimpfen hat meine Mama des Öfteren den Ausdruck „Buglfünferln“ verwendet. Habe ich mir den Ausdruck richtig gemerkt? Wie ist der Ausdruck entstanden und wie schreibe ich ihn richtig? Vielen Dank im voraus für die Recherchen und die Klarheit.
Mit freundlichen Grüßen
Lisa Rüder, von meinem iPhone gesendet

Liebe Lisa,

über die richtige Schreibweise wienerischer Ausdrücke gibt es keine hinreichende Klarheit. Schrieben wir den gesuchten Begriff „Buuglfimfaln“ litte die Lesbarkeit, verwendeten wir die Zeichen des IPA, des Internationalen Phonetischen Alphabets, reduzierten wir den Lesendenkreis auf eine Handvoll Spezialist·innen. Zudem variiert die jeweilige Aussprache je nach Tiefe der Wienerischkeit. Im vorliegenem Fall kann alles zwischen „Buckelfünferln“ und „Buglfümfaln“ von Einheimischen verstanden werden. Besagter Begriff gibt in etwa das zum Ausdruck, was die Deutschen meinen, wenn sie empfehlen, jemand könne ihnen den Buckel, also den Rücken runterrutschen. Mit Fünferln ist eine Bewegung mit der ganzen Hand und ihren fünf Fingern gemeint. Leicht lässt sich ersinnen, wo am Buckel diese Hand zur Anwendung kommen möge.

Das Wort Buckel (das am Würstelstand auch den runden Brotanschnitt bezeichnet) kommt vom altfranzösischen „boucle“, Schildknauf, das seinerseits vom lateinischen „buecula“, dem Diminutiv zu „bucca“ kommt und ursprünglich die (aufgeblasene) Backe bezeichnete. Es hat nur scheinbar mit dem Verb bücken, wienerisch „buckn“ zu tun, das mit dem Bug, mit Biegen und Beugen verwandt ist. Näher dran am „Bugl“, „Buckl“ ist das „Wuckerl“, „Wuggal“, wienerisch für Locke, das von der moderneren Bedeutung des französischen „boucle“ kommt, und die Haarlocke, Schleife, Schlinge bezeichnet. Könnte man auch anderes empfehlen? Selbstverständlich.

Tagesabschnittsgegner könnten das Begehr der „Jettitant dazöhn“, der fiktiven Tante Henriette“, selbiges „in a Sackl redn“ und Ihnen vor die Türe stellen, „si üwa die Heisa“ oder “in Koks“ hauen, sich über die Häuser schlagen, oder in den Kokskeller werfen.

„Blos ma die Bock auf“ schließlich, blas mir die Schuhe auf, wäre mein Favorit.


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Hass im Netz

Sie heißen Raecher0851, BauxiEins11, Seppi13 und Gemmagetscho1. Die Zahl der anonymen Internetpersönlichkeiten mit halblustigen Kurznamen und Zahlenendung geht in die Millionen. Sie verstehen sich als mutige Individueen, als Kreuzritter der Freien Rede. Vereint sind sie zur Stelle, wenn der Shitstorm aufkommt, wenn es gegen die Aufgeklärten geht, gegen die vermeintlich Mächtigen, weil öffentlich Auftretenden. Das Mächtige meinen sie schon im schieren Realnamen zu erkennen, Aufgeklärtes, wissenschaftlicher Evidenz oder schlicht Fakten Folgendes desavouieren sie als Fake-News und Lügenpropaganda. Journalistinnen erregen ihren Umut, Ärztinnen, Wissenschaftlerinnen. Die Zornigen tummeln sich in den Online-Foren der Zeitungen, in den diversen (Un)sozialen Medien, vor allem aber auf X, der toxischen Verlautbarungsplattform des Elon Musk. Mistgabeln braucht es keine für ihre Krawallstürme, keine lodernden Fackeln, es genügt eine abgewetzte Tastatur und ein alter PC-Kübel. Viele rücken inzwischen am Handy aus, um Gutmenschen fertigzumachen. Es scheinen Männer mit brüchigen Biographien zu sein, gesellschaftlich marginalisiert, fremdbestimmt und verbittert. Sie schreiben keine Gedichte, keine Lieder, keine Romane, ja nicht einmal Pamphlete, um ihren ungestillten Zorn zu kanalsieren, ihnen genügt kurzzeiliger Hass. Mit zwei, drei Fingern getippt, im Stil schnellverfasster Klotüren-Polemik.

Vor Gericht gestellt, in Reportagen erforscht entpuppen sich die Hassposter als harmlos auftretene Biedermänner, Familienväter, Durchschnittsbürger. Der amtierende US-Präsident und sein südafrikanischer Berater-Buddy sind bekannte Ausnahmen.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten am 12. April 2025.

Zibebn für die Zizibe

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 15/2025 vom 9. April 2025

Liebe Frau Andrea,
soeben lese ich interessiert Ihre Antwort „übers Einweimperln“ und stolpere über den Ausdruck „Zibebn“. Meine Amstettner Oma nannte mich „Fräulein Zizibee“, wenn ich wehleidig oder wählerisch war. Hängen diese Begriffe zusammen?
Danke und herzliche Grüße
Christa Sieder, Hernals, per Email

Liebe Christa,

Ihre großmütterliche Benennung dürfte einen wahrscheinlichen Ursprung in Josef Pazelts Kinderbuch „Zizibe, ein Wintermärchen für blonde und graue Kinder“ haben. Das liebevoll illustrierte Bändchen des Kleinbauernsohns, Pädagogens, Freimaurers und späteren Ministerialrats erschien 1924. Es erfuhr spätere Auflagen in den 50erjahren. In Patzelts proletarisch-lehrreichem Kindermärchen geht es um eine erzählende Großmutter, eine verzauberte Königstochter, eine verarmte, hungernde Mäusefamilie, einen aufklärerischen Raben, insgesamt aber um Lösungsmöglichkeiten, um Armut und Unterdrückung zu entkommen, und über den Irrsinn des Krieges zu reflektieren. Die Monarchie im Märchen von der Prinzessin Zizibe verwandelt sich im Finale des Buches zu einer Republik, die Mäuse müssen niemals mehr Hunger leiden, weil sie zu Verwaltern der Kornkammer (und wohl auch der der Rosinenvorräte) ernannt werden, und alle leben märchenhaft glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Schauen wir und das Wort Zizibe (Zizibeh, Tsitsi-Bä ausgesprochen) genauer an. Es hat seinen Ursprung einerseits im laumalerischen Ruf der mundartlich so bezeicheten Meise (meist der Kohlmeise), andererseits im italienischen „Cicisbeo“. Damit wurde im Italien des 18. und 19. Jahrhunderts der erklärte Galan oder Liebhaber einer verheirateten Dame aus aristokratischem Stand bezeichnet. Ursprünglich dürfte das lautmalerische „Cicisbeo“ den Flüsterton des Geliebten bezeichnet haben. Nach anderer etymologischer Lehrmeinung liegt in „Cicisbeo“ die Umkehrung von „bel cece“ vor, so viel wie „schönes Pfauenküken“.

Mit der Zibebe (der hierorts bereits erörterten getrockneten Weinbeere) haben Prinzessin, Galan und Pfauenjunges garnichts zu tun, kommt sie doch über das sizilianische „zibibbo“ von arabisch „zibība“, erraten: Rosine.


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