Paul Flora ::: Der weiße Rabe

Der Tiroler Zeichner und Grübler Paul Flora wird am kommenden Sonntag 75 Jahre alt.

Ein Hausbesuch von ANDREA MARIA DUSL, erschienen ~ in Falter 25/97.

Paul Flora lebt in einer kleinen, zartgelb gefärbten Villa oberhalb Innsbrucks. Hinter Bäumen versteckt, ,,gleich neben dem Gasthaus Linde“. Der Taxifahrer, der die steile und kurvige Straße zur Hungerburg rauffährt, weiß, wo Paul Flora wohnt. In Innsbruck wissen alle, wo Paul Flora wohnt. Gleich neben dem Gasthaus Linde. In der Zeit, die der Mercedes den Weg zur Hungerburg raufkeucht, hätte es Flora locker mit der Hungerburgbahn in die Stadt geschafft, oder mit der Seilbahn zum Hafelekar hinauf. Paul Flora wohnt, was Innsbruck betrifft, vorbildlich.
Paul Flora.jpg,,Ich liebe die Berge“, gesteht Flora sein ,,nicht ganz platonisches Verhältnis“ zu Tirols Topographie. ,,Ihre Einsamkeit, ihre bizarre Schönheit, die Verfärbungen im Herbst, die Blumenpracht im Sommer und die verschneiten Wälder im Winter.“ Das Bedürfnis, sie zu attackieren, ihre Gipfel zu erobern, wie es seine Landsleute, die mountainbikenden, snowboardenden und kletternden Tiroler Fexe mit unstillbarem Eifer betreiben, hat er nicht. In aller Bescheidenheit, den Wert des Aufstiegs nicht über den der Aussicht zu stellen, zieht es ihn dennoch zu stürmischen Besteigungen.

Das Zaungatter der Floraschen Villa ist unversperrt, kein Hund bewacht die Zeichnerburg, einzig ein schwarzer Kolkrabe versucht sich als kapitolinische Gans. Ein paar Schritte durch frischgemähtes Gras führen zur Tür, sie steht offen, wie überhaupt Tiroler Türen offen stehen, wenn ihre Besitzer Gäste empfangen.

Paul Flora ist ein eleganter Herr mit schlohweißem Haar, einem pfiffigen Blitzen in den Augen und jenem vom Lachen aufgefalteten Gesichtsgebirge, das nur Südtirolern in die Wiege gelegt wird. Floras Händedruck ist fest und freundlich, aber sein Arm, wie er später nicht ohne bescheidenen Stolz erklären wird, ,,hängt nur mehr an Bandln und Sehnen“, seit er nächtens einmal über eine im Garten deponierte maximilianische Kanonenkugel fiel und sich dabei nachhaltig die rechte Schulter zertrümmerte.

Während Paul Floras Muse türkischen Kaffee brüht, entstoppelt der Zeichner eine Flasche mit kristallklarer Flüssigkeit, die sich als stärkster und feinster Zwetschkenschnaps herausstellt, der je eine Tiroler Hausbrennerei verlassen hat. Wir sitzen umringt von Bildern Roland Topors und Alfred Kubins. Flora hat mehr davon, als die Wände seines Hauses Platz bieten.

,,Ich bin Abonnent des Falter, wahrscheinlich der einzige in Innsbruck.“ Paul Flora beantwortet Fragen, die sein Gegenüber nie stellen würde. Nicht ohne diplomatisches Geschick beweist der Meister der zarten Linien, daß er weitaus mehr Ahnung von den Vorgängen in Wien hat als seine abgeschiedene Existenz auf der Tiroler Alm vermuten ließe. ,,Wien wird immer noch unterschätzt“, schreibt er der Hamburger Zeit ins Stammbuch. ,,Wenigen ist bekannt, daß Schnitzler, nicht Joyce, den inneren Monolog erfunden hat, und daß hinter abbröckelnden Fassaden einige Nebensachen wie die Psychoanalyse, die Zwölftonmusik, das Wittgensteinsche Gedankengebäude, ein Chimborasso der Literatur wie ,Der Mann ohne Eigenschaften‘ und noch viel dergleichen mehr entstanden ist, während man anderswo womöglich nur einige bedeutende Handelsgesellschaften gründete.“

Nicht nur in seiner Essaysammlung ,,Dies und das“ plaudert Paul Flora lieber über andere (etwa Saul Steinberg, Fritz von Herzmanovsky-Orlando oder Charlie Chaplin) als sich selbst – und verrät damit mehr über sich als andere je über ihn sagen könnten. Flora spricht klar, seine Sprache ist unverfälscht und ehrlich, sein Dialekt Tirolerisch, die Färbung Vinschgauerisch, mit dem Ton der Stadt Glurns, jener kleinsten Stadt Tirols, die die Familie der Floras erzeugt hat.

In Glurns wird Flora 1922 als italienischer Staatsbürger geboren. Sein Vater, ein Arzt, zieht mit der Familie 1927 nach Innsbruck. Dem italienischen Schulsystem will er seine sieben Kinder nicht anvertrauen. Der Weg nach Innsbruck führt über Matrei, wo der Großvater mütterlicherseits Besitzer einer noblen Pension im ,,Schweizer Stil“ ist. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie sind hier versprengte Reste des alten Österreich versammelt, die sich ,,zwischen gipsernen Kaiserbüsten und ungemein geschwungenen Petroleumlampen“ dem süßen Studium der Melancholie hingeben. Für eine Baronin besorgt Flora Schönheitswässerchen, einer von spiritistischen Neigungen heimgesuchten Dame stellt er allabendlich eine Sitzgelegenheit in die Tiroler Dämmerung, um ihr die Konversation mit dem dahingeschiedenen Gemahl bequemer zu gestalten. Begegnungen dieser dritten Art erzeugen die nachlässige Eleganz Floras, die stets dann durchblitzt, wenn er sich knorrig und alpin gibt.

Als 15jähriger hat Flora jenes Schlüsselerlebnis, das ihm den Weg zum Künstler eröffnet: Er sieht erstmals Zeichnungen von Alfred Kubin. ,,Sie waren mir durchaus vertraut, denn ich kannte aus Mals und aus Matrei das Milieu und die in ihm handelnden Figuren; diese Welt überraschte mich nicht im geringsten. Ich wußte, ich will Zeichner werden.“ Feriengäste aus Bremen entdecken in den frühen Arbeiten Floras Talent und leiten ihre Erkenntnisse an Otto Modersohn weiter, der zum Besuch einer Kunstgewerbeschule rät. An der Innsbrucker Universität frequentiert der 16jährige Gymnasiast einen Aktzeichenkurs und gewöhnt sich eine angemessene Distanz zu den von ihm dargestellten Figuren an: Das Modell ist ein hageres Wesen mit Halbmaske, eine Dame aus der Innsbrucker Gesellschaft.

Von Innsbruck und seiner Bourgeoisie leben muß der Glurnser nie. Flora schlägt sich in der Münchener Akademie der Klasse Olaf Gulbranssons durch, ohne dem Meister je zu begegnen, ,,weil weder er noch ich je in sie hineinschaute“. Dem Krieg kann er sich bis 1944 mit Hilfe komplizierter Unternehmungen fernhalten. Die größte Militäraktion, so erinnert sich Flora, war das das ängstliche Durchmessen des schönen Weinviertels im Laufschritt. 1947, seit damals lebt er in seinem Haus auf der Hungerburg, hat Flora in Wien seine erste österreichische Einzelausstellung. In der Neuen Galerie, der jetzigen Galerie nächst St. Stephan. Die Aufnahme in den Art-Club ist die erste Folge.

Ab 1949 illustriert Flora das Feuilleton der amerikanischen Neuen Zeitung. Diese Zeichnungen machen Daniel Keel, den Gründer des Diogenes Verlags, auf ihn aufmerksam. Die beiden treffen einander in Zürich, ,,in einem altmodischen Haus, in einem altmodischen Zimmer, darin ein altmodisches Bett, darunter ein Persilkarton, und in diesem war der Diogenes Verlag“. Bis heute blühen die Früchte dieses ersten Teffens als erfolgreiche publizistische Zusammenarbeit.

1957 schließlich ereilt ihn der Ruf der Hamburger Zeit, die einen politischen Karikaturisten sucht. Er nimmt den Auftrag unter der Bedingung an, ,,daß mir niemand dreinredet“. Kaltes Entsetzten schlägt ihm entgegen. ,,Die haben gedacht, ich wohn’ hier auf der Alm, und ich kann ja nicht wissen, was sie wollen.“ Daß Neue Zürcher, Frankfurter Allgemeine und Weltwoche auch im Schatten der Nordkette gelesen werden, ist ihnen bis dahin unbekannt. 14 Jahre prägt Flora die politische Karikatur des deutschen Wochenblatts und zeigt sich an der Waterkant nicht öfter als einmal im Jahr, um mit der Gräfin Dönhoff zu soupieren und über nicht weniger als ,,dies und das“ zu parlieren. Daß Richard von Weizsäcker ihm das große Bundesverdienstkreuz für Verdienste um die politische Kultur in Deutschland um den Vinschgauer Hals legt, kommentiert Flora mit kokettem Stolz: ,,Ich versteh’ ja überhaupt nichts von Politik.“

Von den annähernd 3000 Zeichnungen, die Flora in Hamburg veröffentlichte, existieren heute nur noch wenige. ,,I bin nach hinten in Garten gangen, hab an großen Haufen g’macht und sie alle ang’schirrt.“ Weil er sie für die Zeitung entstehen ließ und nicht für die Wände von Galerien oder Privatwohnungen, opferte Flora sie dem Feuer.

Mit der gleichen Rigorosität arbeitet Flora noch immer. Er sitzt täglich vor Mittag an seinem Tisch und zeichnet. Setzt behutsam und doch kraftvoll Strich um Strich aufs Papier. Was nicht gelingt, landet im Papierkorb: Flora ist ein deflationistischer Handwerker. Bescheiden, klug und von verschmitzter Weisheit. Er hat ein befreiendes Vergnügen daran, über sich und andere zu lächeln, ohne jemandem weh zu tun. Mit milder Melancholie schlägt er, der sich stets als Unzeitgemäßen sieht, den Nagel der Zeit zärtlich auf den Kopf. ,,Flora ist nicht ohne Traurigkeit“, schreibt Friedrich Dürrenmatt zum Album ,,Trauerflora“. ,,In seinem Werk sind Welten untergegangen, und wir ahnen, daß auch wir untergehen.“ Von apokalyptischer Zukunftsvision ist Flora dennoch weit entfernt, lebt er doch sowieso ,,optisch in der Vergangenheit“. Aus pragmatischen Gründen: ,,Weil sie zeichnerisch mehr hergibt.“
,,Paul Flora, Hungerburg“, eine ewige Adresse.

©Andrea Maria Dusl

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