Das Glas der Gläser

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‚ in Falter 45/2012
Fasslbecher.jpgLiebe Frau Andrea,
ich liebe diese Gläser, sie sind rund und bauchig, traditionelle Wiener Achtelgläser, wie es sie beim Wirten und beim Heurigen gab. Manchmal sind sie bedruckt. Für mich sind es ‘die’ Gläser. Josef Hoffmann hat sie designt. Oder irre ich mich da?
Liebe Grüße, Maja Wieser Benedetti, Margareten. Nach Diktat verreist.
Liebe Maja,
aus dem Glas das Sie beschreiben, hat wohl jeder schon mal getrunken, Aussehen und Haptik dieser Gefässe gehören zum kulturellen Gedächtnis des Landes. Das Glas der Gläser hat einen leichten Bauch, am kaum merklich verdickten Fuss etwa den gleichen Durchmesser wie an der Öffnung und besitzt eine charakteristische weiche und runde Lippe, die an einer Stelle in eine kleine, sesamkorngrosse Verdickung ausläuft. In Konsultationen mit führenden österreichischen Design-Experten konnte sich der Verdacht nicht erhärten, der Architekt und Gestalter Josef Hoffmann, Gründungsmitglied und Hauptvertreter der Wiener Werkstätte, sei als Formschöpfer des Wirtshausglases anzusehen. Auch andere prominente Kollegen des Gestaltausdenkens kommen für das originale Design nicht in Frage. Für die Urheberschaft darf bis zur Klärung durch genauere Befunde das Etikett “Anonymes Design” dienen. Unter Wirten und Tipplern ist das tonnenförmige Glas, das in der Regel aus dem schankgekühlten Doppler gefüllt wurde, als “Fasslbecher” bekannt. Eine schlankere, höhere, aber nur 5 Millimeter weitere Variante firmierte – weniger offiziell – als “Viertelglas”. Beide Gläser zirkulierten auch bedruckt, mit grünen Weinranken, im oberen Glasfünftel. Im einschlägigen Gastronomiebedarf ist der Fasslbecher noch immer erhältlich. Auf Flohmärkten sowieso. Ihren Verdacht bezüglich prominenter Formautorenschaft wird genährt durch mehrere Coverversionen des Fasslbechers. Peter Noever gestaltete eine Variante ‚Im Griff‘, mit daumenballengrossser Einbuchtung, die Innenarchitektin und Designerin Miki Martinek eine mundgeblasene, handgeschliffene namens ‚Achtel‘. Alexander Dworsky und Ursula Meyer bieten unter der Produktlinie „Das goldene Wiener Herz“ den ‚Fasslbecher‘ mit aufgedruckten Echtgold-Ranken an. Wem diese Nachdichtungen zu artsy-fartsy sind, der pilgere nach Ottakring zum Wirten und erbettle sich ein Set. Oder reite bei der Carla am Mittersteig ein, um dort Fasslbecher mit Aura zu erstehen.
www.comandantina.com dusl@falter.at
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Ein Gedanke zu „Das Glas der Gläser“

  1. Diese Gläser erinnern mich an die Gläser meiner Oma, die leider mit ihrem Haus abgebrannt sind. Ich überlege mir eine lokale Glaserei zu suchen, die diese nachmachen kann. Das wäre doch eine tolle Überraschung!

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