Austro-Organe

Wir alle kennen das Organ. Wir alle fürchten es. Das Staatsorgan. Dieses Organ ist, anders als das Organ in einem Körper, kein Akteur lebenswichtiger Funktionen, sondern ein Mittler. Es vermittelt zwischen Macht und Ohnmacht, nach österreichischem Verständnis der Verhältnisse zwischen dem Staat und uns. Das Organ hat die unlösbare Aufgabe, uns dieses Verhältnis mitzuteilen. Es bedient sich dazu einer Myriade rätselhafter Formulare und der Transzendentaltextsorte Bescheid. Teil der Begegnungskultur ist dabei das Erläutern von Unerläuterbarem. Dabei verschwendet sich das Organ niemals in der Idee demokratischer Zustände. Es präsentiert die Grundform der österreichischen Organhaftigkeit, es versteht sich als Vertreter einer Obrigkeit. Einer Obrigkeit, wie sie Habsburgerabsolutismus und seine Nachgeburten Ständestaat und Nazidiktatur etablierten. Wenn wir einem Organ begegenen, treten wir habituell in einen Dialog mit den Untoten.

Unter diesem Druck leidet das Organ. Es entlastet sich und uns, indem es sich vom fremdbestimmten Werkzeug (so der griechische Ursprung des Wortes) zum Selbsthandler erhöht. Das österreichische Organ ist also in der Regel nicht mehr ausschliesslich Vertreter einer Behörde, eines Amtes, sondern geriert sich als deren Interpret. Das macht die Dinge nicht einfacher.

Als gelernte Österreicher verstehen wir uns in der Kunst, mit dem Organ zu verhandeln. Wir können einem Organ jederzeit erfolgreich einreden, unsere meterlange Fahne stamme vom Franzbranntwein an der verspannten Schulter, der Fahrschein befinde sich in der anderen Jacke, der Hund habe den Einschreiber gefressen. Das Organ wird uns nicht glauben, aber so tun. In einem, alles und alle durchdringenden Prozess der Verösterreicherung vereinigt das Organ auf eigenen und fremden Zuruf sämtliche Mächte in sich, die Exekutive (seine eigentliche Aufgabe), die Judikative und die Legislative, es transzendiert im Absoluten. Will doch das Organ, wenn es in sich spüren will, nicht gefürchtet werden. Das Organ will geliebt werden. An der Erfüllung dieses Wunsches scheitern beide Seiten.

Andrea Maria Dusl. Für meine illustrierte Kolumne in den Salzburger Nachrichten vom 15.10.2016.

Ein Gedanke zu „Austro-Organe“

  1. Multiorganversagen, war vor Monaten die Diagnose. Trotzdem genießen die einen gedankenlos ihr riesiges Schnitzel im Möbelhaus und das erworbene Recht auf eine Karibikkreuzfahrt im maritimen Gemeindebau, die anderen sehnen sich nach einem Onkel Adi oder einem jungen Erzherzog, der die Visegradstaaten wieder unter seine Fittiche nimmt. Daß die sogenannten Organe verwahrlost und verkommen sind, stört nur wenige, denn schließlich kennt man jemanden, der wieder jemanden kennt, der Anliegen an die Organe für beide Seiten zufriedenstellend in Ordnung bringt.

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