Tee mit Leibniz

Gmunden ist eine Kleinstadt in Oberösterreich, es ist, wenn man so will, das Genf des Salzkammerguts. Gmunden unterschiede sich trotz seiner splendiden Lage am schönen Traunsee nicht weiter von Nestern seines Kalibers, wäre es nicht auch das Exil der Exkönige von England.

Die Exkönige von Hannover, von Großbritannien und von Irland, Herzöge von Braunschweig und Lüneburg und Dukes of Cumberland sind dem deutschen Publikum unter ihrem Familiennamen „Welfen“ bekannt und leben seit ihrer Exilierung aus dem British Empire, von der Yellowpress relativ unbeachtet, in dem verträumten Städtchen am Traunsee. Als Buckingham Palace von Gmunden diente ihnen ab 1866 die komfortable „Villa Cumberland“, heute tut es auch die etwas bescheidenere „Cöniginvilla“.

In der Gmundner Cöniginvilla ging mein Freund Conrad ein und aus. Das war in den 1960ern. Conrad war mit den Royal Highnesses, den Herzögen von Hannover, befreundet, ja, er war schon fast so was wie ein Teil der Familie geworden, und er unterrichtete die Sprösse des Hauses, die beiden Welfenherzöge Ernst August und seinen jüngeren Bruder Ludwig Ernst, in der Sprache Voltaires. Erster sollte später als „Haugust“ und Ehemann der monegassischen Prinzessin bekannt werden.

Weil nun die Welfen einerseits exilierte Könige von Hannover, andererseits aber legitime Exilregenten von England waren, kam es bisweilen zu schizophrenen Situationen. Die Ironie des Familienschicksals ließ es nicht zu, bei Fußballmatches Deutschland gegen England eine der beiden Mannschaften gegenüber der anderen zu favorisieren. Bei Deutschland-England jubelten die Welfen also bei jedem Tor, völlig unabhängig davon, welche Mannschaft es gerade erzielt hatte.

In der Cöniginvilla trank man traditionell „Calenberg-Tea“, ein Getränk, das Herzogin Ortrud, eine geborene Prinzessin zu Schleswig-Holstein-Glücksburg-Sonderburg, kreiert hatte und das auch Gästen gerne und oft gereicht wurde. Calenberg-Tea war aber kein Tee, sondern unverdünnter Whiskey aus dem Supermarkt, der aus Gründen der Etikette in feinem Teeporzellan und stets und ausschließlich zur Teatime serviert wurde.

Fünf Uhr hieß bei den Hannovers deshalb auch schlicht und einfach „Calenberg-Time“. Schlag fünf unterbrach der alte Welfenherzog Ernst August, was immer er auch gerade tat, und näselte mit durstiger Stimme: “It is Calenberg time!“ 

An einem dieser Nachmittage saß mein Freund Conrad mit den königlichen Hoheiten zu Teetische. Man sprach über dies und sprach über das, und irgendwann bekam die Konversation eine naturwissenschaftliche Färbung. Man plauderte erst über Äpfel, dann über Newton, und während man ausgiebig am Calenberg-Tea nippte, griff jemand nach einem Keks, und es kam die Rede auf Gottfried Wilhelm Leibniz.

Und als der Name des deutschen Philosophen fiel, guckte der kleine Herzog Ludwig Ernst, gerade mal acht Jahre alt, von seiner Tasse Calenberg-Tea auf und hauchte altklug: „Leibniz, hat der nich auch mal für uns gearbeitet?“

Aus: Andrea Maria Dusl: Fragen Sie Frau Andrea, Falterverlag, 2003, pagg. 181f.

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