Auch die Nichtbäcker verwortageln

Für meine Kolumne ‚FRAGEN SIE FRAU ANDREA‘ in Falter 47/2021 zum 24. November 2021

Liebe Frau Andrea,
Clemens Setz gebraucht im Falter-Interview das Wort „verwordagelt“. Nach meiner Erinnerung habe ich dieses Wort auch gelegentlich verwendet, ohne mich nach der Herkunft zu erkundigen. Gleichbedeutend für verunstaltet ist mir bekannt, aber die Herkunft?
Sie wissen sicher Bescheid! Mit freundlichen Grüßen,
Werner Sommer, per Email

Liebe Frau Andrea,
Clemens J. Setz spricht im schönen Gespräch mit Klaus Nüchtern im letzten Falter von „verwordagelten Ideen“. Ich glaub, solche hatte ich auch schon. Aber: Woher kommen die? Und was ist „verwordagelt“ genau?
Um Aufklärendes bittet ein (in Österreich geborener und in Wien studiert habender) Falter-Leser aus Stuttgart.
Leo Burger, per Email

Lieber Werner, lieber Leo,

in semantischer Hinsicht ist geborenen (und gelernten) Österreicher·innen die Bedeutung des Wortes klar und bestens bekannt, allzuoft dient es in der Beschreibung misslungener, verunstalteter, schief oder hässlich geratener Dinge. Sei es selbst Erzeugtes oder Verderbtes aus fremder Hand. Wörtlich spricht Kollege Setz von „verwordagelten Einfällen“, also Gedachtem. Das Verwordagelte kann also auch literarisch transzendieren.

Sprachgeschichtlich gesehen stammt unser Begriff aus vorindustrieller Zeit. Das Mittelhochdeutsche kannte das Partizip Perfekt „verwohrt“ für fehlgeschlagen, schlecht gemacht. Es ist eine Abschwächung des wesentlich schärferen und weitaus älteren gotischen „frawaúrht(a)“, soviel wie sündig, schuldig. Verwirken (älter: verwürken), das zugrunde liegende Verb, hat die ursprüngliche Bedeutung noch besser bewahrt.

Woher aber kommt der zweite Wortbestandteil „dageln“? Nach gängiger etymologischer Lehrmeinung liegt hier die bairisch-österreichische Aussprache des Zeitworts „teigeln“ vor, also etwas „teigen“, „aus Teig formen“. Das Fawoadaglte (Verwohr(ge)teigelte) ist also das schlecht geformte, sichtbar misslungene Backwerk, wohl die hässliche Semmel, die falsch verschränkte Brezel, das aus der Form geratene Striezerl, das krumme Salzstangerl.

Hinich würden die Wiener·innen sagen, müsste es rascher gehen.


comandantina.com dusl@falter.at Twitter: @Comandantina

2 Gedanken zu „Auch die Nichtbäcker verwortageln“

  1. Sehr geehrte Comandintina, liebe Frau Andrea,
    meine Mutter (RIP Wilma Scheidl) würde wohl heute noch angesichts meines unleserlichen Gekrakels am Whiteboard, an der Tafel, im physischen Notizbuch oder am Einkaufszettel ein resignierendes
    „a so a vawoadaglte Schrift“
    von sich geben.
    Im Waldviertel – und so ist es auch in dem in Eigenverlag erschienenen „Waldviertlerisch von Aschlings bis Zweringst“ von Huber Bruckner nachzulesen, siehe Fotos anbei – war vawoadaglt (in meiner Kindheit und dieses Adjektiv gibt es wohl heue noch) ein Ausdruck für etwas verwackeltes, insbesondere in Zusammenhang mit dem Schriftbild. Analog das Verb „dagln“ für „schiach schreiben“.
    Das als Ergänzung zu ihren Rechercheergebnissen im Vorwochen-Falter. Freilich kann im Waldviertel auch beispielsweise ein Mohnstriezerl ziemlich vawoadaglt sein.
    Mit ergebenen Grüßen
    Heidi Scheidl

    ————————————————————————–
    Mag. Heide Maria Scheidl
    Lehrbeauftragte am Zentrum für Translationswissenschaft
    und am Postgraduate Center der Universität Wien
    UNIVERSITAS-Austria-zertifizierte Übersetzerin
    Allgemein beeidete und gerichtlich
    zertifizierte Dolmetscherin für Englisch
    best practice translations e.u.
    http://www.best-practice-translations.eu
    Wurlitzergasse 72/12
    1160 Wien

    Wiener Gasse 16/9
    1210 Wien
    m: +43 664 32 59 414
    f: +43 1 817 49 55-1915

    FN 320375s Handelsgericht Wien
    UID: ATU 42828106
    ————————————————————————-

  2. Sprachwissenschaftlich ist die Sache komplizierter:
    verwordakelt (misslungen, entstellt, z. B. ein Kuchen, eine Zeichnung) kommt von mhd. wuone (Wunde), das wegen der Nasalierung mit „weine“ zusammengefallen ist, dieses ist durch den den Wiener Nasalschwund zu [woa] geworden und nach anderen Mustern behelfsmäßig (weil es den Laut oa in der Schriftsprache nicht gibt)n als wor wiedergegeben worden. Der zweite Wortteil kommt von Teig (also urspr. ein teigiger, missratener Kuchen).

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